Wohnzeile der GWW in Wiesbaden | Dachgeschoss | Aufstockung | Vorderansicht | Der Dämmstoff | Foto von Jean-Luc Valentin

Krone für eine Zeile

Wohnraum im Rhein-Main-Gebiet ist rar und teuer. So ist das auch in Wiesbaden, wo die GWW, die Wiesbadener Wohnbaugesellschaft, mit einem besonderen Bauprojekt eine vorbildliche Lösung gegen Wohnungsnot und Luxusmieten fand. Die Architektur dazu lieferte das Team von grabowski.spork architektur.

Das Rheingauviertel zählt zu den besonders beliebten Stadtvierteln in Wiesbaden: Die gründerzeitlichen Bürgerhäuser stehen im Blockrand, die Straßen sind gesäumt von alten Bäumen. In den zahlreichen Cafés tummeln sich viele Studenten und der Hauptbahnhof, Kitas und Schulen sind nah. Wohnraum ist hier so begehrt wie knapp und entsprechend teuer. Am südlichen Rand, zwischen dem alten Quartier und einem Neubauviertel, stehen seit 1952 ergänzende Zeilenbauten. Sie gehören der GWW, die in Wiesbaden ca. 13.000 Wohnungen, viele davon gefördert, vermietet. 

Die sechsgeschossigen Zeilenhäuser waren sichtbar in die Jahre gekommen und sanierungsbedürftig. Trotzdem sind sie hier in dieser Stadtlage ein besonderer Schatz: Weil sie noch Platz bieten für die Schaffung weiteren Wohnraums in einer stark verdichteten Nachbarschaft. Weil sie für die Fünfziger Jahre typische, solide und umbaufähige Grundrisse haben. Weil auch hier alte Bäume und Grün die Flächen auflockern und aufwerten. Vor allem deshalb kam eine Erweiterung nur gen Himmel, also auf dem Dach, in Frage. Das findet auch Thomas Keller, Geschäftsführer der GWW: „Aufstockungen bestehender Wohngebäude sind eine sehr effiziente und nachhaltige Methode, neuen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, besonders in den Ballungsräumen.“

Wohnzeile der GWW in Wiesbaden | Dachgeschoss | Aufstockung | Der Dämmstoff | Foto von Jean-Luc Valentin
Die Wohnzeile der GWW steht auf einem durchgrünten Grundstück. Die Freifläche ist wertvoll und zu schade für eine Nachverdichtung. Das Dach aber bot noch Flächenreserven. Die Architekten von grabowski.spork tauschten daher das alte Satteldach gegen sechs Dachgeschosswohnungen in Holzrahmenbauweise, gedämmt mit Mineralwolle und verkleidet mit messingfarbenen Aluminiumschindeln.

Die Bauaufgabe

So beauftragte die GWW das lokale Planungsbüro grabowski.spork mit der Sanierung und Aufstockung einer ersten von acht Zeilen. Diese bildet architektonisch und städtebaulich den Auftakt für das Areal, denn sie grenzt an den viel befahrenen zweiten Stadtring und den Karlsbader Platz. Für die Architekten war also klar, dass das Gebäude eine entsprechend gute Außenwirkung, aber auch einen guten Schallschutz brauchte. Zugleich musste die Aufstockung ins Stadtbild passen. Bauherr Thomas Keller erklärt: „Wir prüfen regelmäßig, ob sich unsere Bestandsgebäude aufstocken lassen. Leider ist das aus baulichen, wie städtebaulichen oder rechtlichen Gründen nicht immer möglich.“ 

Oft spricht das Baurecht gegen eine höhere Gebäudekante und die oft knapp bemessene Statik gegen einen zusätzlichen Aufbau. Hier aber war das anders. Der Zeile aus massivem Mauerwerk konnte man einen leichten Holzaufbau zumuten. Auch der Höhenunterschied von Alt zu Neu betrug nicht ein ganzes, sondern nur etwa ein halbes Geschoss, weil der unbewohnte Dachraum unter dem Satteldach rückgebaut und gegen ein neues Geschoss mit Flachdach getauscht wurde. Der Bestand ließ sich also mit einem Aufbau um sechs Wohnungen mit insgesamt 521 m² Wohnfläche erweitern. Es ergaben sich zwei Aufgaben für die Architekten: die Sanierung und die Aufstockung.

Die Sanierung

Die Architekten planten die Sanierung der Bäder, Oberflächen sowie der Gebäude- und Heiztechnik. Sie überdämmten die Bestandsfassade mit einem 16 cm starken Wärmedämmverbundsystem, ließen neue Fenster mit zeitgemäßem Wärme- und Schallschutz einbauen und tauschten die alten Balkone gegen Loggien. Die lassen sich jetzt mit gläsernen Falt-Schiebeläden gegen Lärm abschotten.

Eine große Herausforderung war die Erschließung der Zeile. Das Gebäude bestand aus zwei Trakten, die jeweils – trotz ihrer Höhe von über dreizehn Metern – mit einem schmalen Treppenhaus ohne Aufzug erschlossen waren. Die Architekten ersetzten die beiden alten durch zwei neue, angebaute Treppenhäuser, die ausreichend Platz schufen für jeweils einen einläufigen Treppenaufgang und einen Personenaufzug. Sie nutzten die Chance, auch gleich einen einladenden, neuen Eingang zu gestalten. Der Umbau der beiden Treppenhäuser bedingte, dass die Mieterinnen und Mieter der 36 alten Wohnungen für die Zeit der Sanierung in Ausweichwohnungen umzogen. Der Wohnkomfort für die, die zurückkehren wollten, ist dafür jetzt umso höher.

Wohnzeile der GWW in Wiesbaden | Eingang | Der Dämmstoff | Foto von Jean-Luc Valentin
Für neue Treppen und Aufzüge rückte das Treppenhaus aus der Fassadenflucht. Eine gute Chance, auch gleich den Eingang einladender zu gestalten.

Die Aufstockung

Der Clou der Sanierung, sowohl in wirtschaftlicher als auch in architektonischer Hinsicht, ist die Aufstockung. Mit den Mietmehreinnahmen für die Immobilie wurde die Aufstockung auch wirtschaftlich interessant für den Bauherrn. Gestalterisch ist sie es ohnehin, wie der Projektleiter Moritz Kleisinger, Architekt bei grabowski.spork, erklärt: „Es ist ein besonderes Haus in einer exponierten urbanen Innenstadtlage. Es ist der Auftakt einer Zeilenbebauung und benötigte eine eigenständige Architektur als Signal.“ 

Daher ließen die Architekten das neue Dachgeschoss über die Kanten des Altbaus kragen, planten es als Schaufenster in Richtung Platz und verkleideten es mit eloxierten Aluminiumschindeln, die im Sonnenlicht messinggolden glänzen, als Kontrast zu den weiß verputzten Flächen des Bestandes darunter. Die metallischen Details, wie z. B. die Attikableche, die Treppen- und Balkongeländer und die Metallkonstruktion der Loggien, fassen Alt und Neu zu einer Einheit und bleiben gestalterisch nah bei den 1950er-Jahren. Zugleich betonen sie die Eingriffe in die Gebäudestruktur und machen klar: Hier wurde einem Gebäude eine Krone aufgesetzt.

Der Holzrahmenbau mit Mineralwolle

Den Aufbau planten die Architekten in Holzrahmenbauweise mit einer 20 cm starken Gefachdämmung aus Mineralwolle. Die Entscheidung für Holz hatte viele Vorteile: Die Holzbauteile wiegen weniger als massive Bauteile, der Bestand brauchte also keine statische Ertüchtigung. Außerdem ließen sich die einzelnen Wände sowie der Boden im Werk vorfertigen, was Kosten und Zeit sparte. Im Werk verschraubte man auf der Wandinnenseite dampfbremsende OSB-Platten, legte eine 20 cm starke Dämmung aus Mineralwolle ins Gefach und verschloss das Rahmenwerk außenseitig mit MDF-Platten.

Der Boden aus vorgefertigten Brettstapelelementen lagert mit Kanthölzern auf der obersten Geschossdecke des Altbaus. Die Zwischenräume dämmte man mit Mineralwolle aus und legte die 20 cm dicke Massivholzdecke mit innenseitiger OSB-Beplankung auf. Darauf kam eine dünne schall- und schwingungsreduzierende Schüttung, eine ein Zentimeter dünne Trittschalldämmung aus Mineralwolle und eine Beplankung aus Gipskartonplatten. Die Holzsparrendecke dagegen schraubte man erst vor Ort zusammen und dämmte sie mit einer 20 cm starken Gefachdämmung aus Mineralwolle.

Insgesamt eine schnelle Bauweise: „Der Rohbau stand innerhalb einer Woche“, berichten die Architekten und ergänzen: „Die Schindeln wurden aber erst nachträglich montiert.“ Und zwar als vorgehängte hinterlüftete Fassade. Die eloxierten Metallschindeln bekleiden das Dachgeschoss mit glänzenden Rauten wie eine Fischhaut. Die geneigten Seitenflächen der Dachloggien legen sich als Passepartout um die oberen Terrassenfenster, vergrößern nur augenscheinlich den überdachten Raum, aber tatsächlich den Tageslichteinfall.

Ausgezeichnet gebaut

Die Metallfassade taucht das Gebäude im Wortsinn in ein anderes Licht und gibt ihm eine Sichtbarkeit bis über den Stadtraum hinaus. Denn die Sanierung erhielt bundesweit viel Aufmerksamkeit, weil sie vieles unter einen Hut bringt: eine einprägsame Gestalt im Stadtraum, dessen Gestaltung sonst mit der Flüchtigkeit der Vorbeihastenden schnell vergessen ist, den aufwertenden Umgang mit typischer und oft ungeliebter Architektur der Nachkriegsjahre, die umwelt- und stadtverträgliche Nachverdichtung in schon sehr dichten Nachbarschaften, den sozialen Anspruch, günstigen Wohnraum auch in teuren Lagen zu ermöglichen, den wirtschaftlichen Anspruch, dass gute Architektur sich auch monetär auszahlen kann, und letztlich den nachhaltigen Umgang mit sämtlichen Ressourcen. Dafür gab es bisher drei Architekturauszeichnungen.

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