Die Allgäuer Architekten Alexander Müller und Jochen Schurr entwickelten zusammen mit der TU München ein Sanierungskonzept für Schulen. Mit vorgefertigten Holzrahmenmodulen und einer Dämmung aus Mineralwolle sanieren sie Schule für Schule und zeigen dabei, wie sich der große Sanierungsstau bei Bildungsbauten schnell, ökologisch, sicher und kostenstabil beheben lässt.
Was für eine Freude für alle Beteiligten, als die Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer im November 2020 zurück an ihre Mittelschule in Germaringen durften. Nach 14 Monaten Sanierungszeit war die Schule kaum wiederzuerkennen: Neue Oberflächen in den Fluren und Klassenräumen und die neue Lärchenholzfassade vertrieben den Mief der 1970er Jahre. Endlich Licht und Ruhe im Unterricht, eine funktionierende, zeitgemäße Gebäudetechnik, eine Mensa mit mehr Ausblick, neue Sanitäranlagen und ein Aufzug. Auch die Gemeinde freut sich: Die Sanierung blieb im Zeit- und Kostenrahmen. Das war auch der Grund, warum sie die erfahrenen Allgäuer Architekten Alexander Müller und Jochen Schurr für die Sanierung beauftragte. Denn das Team von m2s müller.schurr.architekten hat sich auf Schulsanierungen spezialisiert und wendet dabei eine besondere, erfolgreiche Methodik an.
Aber von vorne: Viele öffentliche Gebäude stammen aus den 1960er und 1970er Jahren, als die Babyboomer und die Gebietsreformen große Investitionen in moderne Schul- und Verwaltungszentren begründeten. Jetzt, ca. 50 Jahre später, sind viele der Gebäude in die Jahre gekommen. Der größte Sanierungsposten der kommunalen Infrastruktur sind die mehr als 21.000 Schulen mit gravierenden oder nennenswerten Sanierungsrückständen. Aber ihre Sanierung ist aufgrund der Bauweise und der Anzahl der Bauten technisch aufwendig und organisatorisch schwierig. Weil Ausweichstandorte fehlen, passieren Sanierungen meist peu à peu im laufenden Betrieb oder mit langen Wartezeiten auf Ersatzräume.
Gemeinsam mit der TU München entwickelten Müller und Schurr im Zusammenhang mit dem europäischen Forschungsprojekt „TES Energy Facade“ eine Systemlösung für die Sanierung der Fassaden von Stahlbetonskelettbauten. Also der Bauweise, in der die meisten Schulen in Deutschland gebaut wurden. Müller sagt: „Wir wollen dabei schneller, günstiger und vor allem nachhaltig ökologischer sanieren als bisher.“ Die Betonstruktur der Bauten ist meist intakt und belastbar, ihre Hüllflächen genügen aber weder zeitgemäßen Energiestandards noch dem Schall- und Brandschutz. Also entwickelte das Forscher- und Architektenteam ein Herstellungsverfahren für Fassadenmodule in einer Holzrahmenbauweise mit Mineralwolle. Diese lassen sie im Werk mit Hilfe computergesteuerter Maschinen vorfertigen. „Die industrielle Vorfertigung der Module im Werk hat viele Vorteile: Zum Beispiel lassen sich Baufehler und Maßungenauigkeiten vermeiden“, sagt Müller. Sie verkürzt zudem die Bauzeit vor Ort und macht den gesamten Bauprozess witterungsunabhängig und kostenstabil.
In Germaringen begannen die Planungen schon ca. zwei Jahre vor Baubeginn. „Die Planungszeit ist länger als bei herkömmlichen Bauweisen“, sagt Müller. Allein das Aufmaß ist aufwendig, weil die Gebäude meist bis kurz vor Montage der Module im Vollbetrieb und daher fast unangetastet bleiben. Müller sagt: „Bei Bestandsgebäuden können die Rohbautoleranzen der Befestigungsuntergründe bis zu 70 mm betragen, hier war es aber weniger.“ Das System erlaubt kaum Toleranzen, alle Bauteile müssen millimetergenau zusammen und an den Rohbau passen.
Bei vergangenen Projekten wurde das 3D-Aufmaß vor der Fassadenplanung zum Beispiel mit Bohrungen für Messpunkte durchgeführt. Diese Vorgehensweise ist optimal für den Planungsablauf, wäre in Germaringen aber unverhältnismäßig gewesen. Hier waren die alten Sichtbetonschalen der Fassade vorgehängt, auf Betonböcken aufgelagert und ließen sich gut entfernen. So wurde das genaue 3D-Aufmaß in den laufenden Planungsprozess integriert. Erst anhand eines vollständigen 3D-Modells konnte die Werkstattplanung des Holzbauers beginnen, dann folgte die computergesteuerte Werksproduktion der Holzrahmenmodule samt einer 20 cm starken Dämmung aus Mineralwolle mit integrierten Verglasungssystemen. Die Modulfassade eignet sich aufgrund ihrer relativ leichten Konstruktion, ihrer guten CO2-Bilanz, ihrem hohen Wärme-, Schall- und Brandschutz für etliche Stahlbetonskelettgebäude ‒ ein übertragbares System also, aber mit lokalem Bezug, wie Müller sagt: „Wir arbeiten dabei mit regionalen Holzbaubetrieben zusammen, verkürzen so die Lieferwege und optimieren damit die Gesamt-Primärenergiebilanz.“
Meist organisieren die Architekten die Sanierung mit Modulen im laufenden Schulbetrieb. In Germaringen aber fanden die fast 400 Schülerinnen und Schüler der Mittelschule zwischenzeitlich Platz in einem ausgedienten Schulgebäude sowie in einem alten Gewerbegebäude in direkter Nachbarschaft.
Innerhalb von ca. drei Wochen waren die alten Betonfassadenplatten entfernt. Ein Knackpunkt waren die Unebenheiten auf der Bestandsoberfläche, die sich nicht über die Moduloberflächen ausgleichen lassen. Deshalb ließen die Architekten eine 5 cm starke Mineralwolldämmung auf den Rohbau legen. Müller erklärt: „Aufgrund der flexiblen Oberfläche kann Mineralwolle diese Unebenheiten als Toleranzschicht gut ausgleichen.“ Dann wurden die 66 Module mit Tiefladern auf die Baustelle gebracht, mit einem Kran vor die Fassade gehoben und manuell auf Stahlwinkel am Rohbau befestigt. Die Module in Germaringen haben je eine Fläche von ca. 8,3 m x 3,8 m, variieren aber in der genauen Größe und ergeben insgesamt etwa 2.000 m² Fassade. Müller sagt: „Üblicherweise schaffen wir, je nach Bauwerksgeometrie, rund 300 bis 500 m² Fassade pro Woche.“ Das entspricht rund 60 bis 70 Modulen, die sich zum Beispiel in den Sommerferien verlegen lassen. Mal sind es mehr, mal weniger – die Montagezeit ist auch abhängig von der Erfahrung der Holzbaubetriebe.
Eine energetische Schulsanierung ist die Chance, alle Räume technisch und pädagogisch auf den neuesten Stand zu bringen. In diesem Fall profitiert die Schule von der Sanierung besonders, wie Müller berichtet: „In aktuellen Schulbaurichtlinien sind die Klassenräume für Neubauten kleiner bemessen. Weil wir hier aber saniert haben, konnten wir die Räume anders dimensionieren.“ So sind die Klassenräume nicht nur großzügig und hell, sondern erhalten auch flexibel nutzbare Arbeitsplätzen in Zwischenräumen. Dafür erneuerten die Architekten auch die raumtrennenden Ständerwände mit einer Mineralwolldämmung, zugunsten eines besseren Schall- und Brandschutzes. Müller sagt: „Wir haben den Brandschutz zeitgemäß mit Brandabschnitten realisiert, so dass sich zum Beispiel die Flurräume auch zum Arbeiten nutzen lassen.“ So entsteht auf 4.000 m² viel Platz für eine zeitgemäße Pädagogik in Klassen- und Kleingruppenräumen sowie auf einer offenen Lernlandschaft im ehemals ungenutzten Dachgeschoss. Die angestrebte Barrierefreiheit war dabei eine besondere Herausforderung, so Müller: „Besonders kniffelig war die Sanierung des alten Treppenkerns zwischen den Split-Level-Geschossen. Hier haben wir auf kleinstem Raum einen zweiseitig zugänglichen Aufzug eingebaut.“ Dessen Fundamentierung direkt im Aussteifungskerns des Bestandsgebäudes war „eine statisch wie umsetzungstechnische Herkulesaufgabe“, sagt Müller.
Technisch statteten die Architekten das Gebäude mit einem zentralen Lüftungssystem mit Wärmerückgewinnung, mit Heiz- und Kühldecken zur Raumkonditionierung, sowie einer für jeden Raum einzeln regelbaren Gebäudeautomation aus. Ein BHKW, ein Gas-Spitzenlastkessel, sowie zwei Luft-Wasser-Wärmepumpen generieren die Primärenergie. Mit dieser Technik und der hochdämmenden Hülle, samt der mit Mineralwolle gedämmtem Dachflächen, erreichen sie den Passivhausstandard mit einem um 48 % geringeren Jahresendenergiebedarf und einem jährlich 62 % geringeren CO2-Ausstoß gegenüber einem Referenzgebäude.
Die Mittelschule spart mit ihrer Bauweise und Technik pro Jahr 228 Tonnen CO2 ein – so viel, wie ein Wald in der Größe von 25 Fußballfeldern jährlich kompensiert. Aber lohnt sich die Sanierung auch finanziell? Müller betont: „Wir blieben mit 15,25 Mio. Euro Sanierungskosten 22 % unter den berechneten Neubaukosten. Aber letztlich ist die Sanierung und Nutzung des Alten eine Frage der Nachhaltigkeit.“
Sanierung im Passivhausstandard, KfW-EG-70
Jahres Primärenergiebedarf qp: 83,83 kWh/m²a
Endenergiebedarf qe: 59,66 kWh/m²a (= 48% geringer als Referenzgebäude)
CO2- Emission: ca. 140to/a (= 62% geringer als Referenzgebäude)
Alle Fotos stammen von m2s müller.schurr.architekten.